Objekt

Archiv-ID:
16860
Objekt:
Artikel
Urheber:
Krünitz, Johann Georg
Titel:
Die Kunst zu fliegen
Datum:
1777 ca.
Quelle:
Oeconomischen Encyclopädie (1773 - 1858) Band 14 (von 242 Bd.) S. 257 ff
Status:
digital/eBook
Beschreibung:

online: http://www.kruenitz1.uni-trier.de/xxx/f/kf01781.htm

Die Kunst zu fliegen ist von der Natur nur den mit Federn und Flügeln versehenen Thieren verliehen; gleichwohl hat es Menschen gegeben, die sich dergleichen Eigenschaften gewünscht haben. Man ist daher auch auf Mittel bedacht gewesen, hierin die Natur zu übertreffen. Um die Möglichkeit dieser Sache darzuthun, hat man folgende Gründe vorgebracht. 1) Ob zwar der Mensch nicht zum Fliegen gemacht sey, so müßte ihn doch dieses antreiben, dasjenige, was hier die Natur versagt hat, durch die Kunst zu bewerkstelligen. Dabey beruft man sich auf die Kunst zu schwimmen. Da nun zwischen dem <14, 258> Wasser und der Luft eine ziemliche Gleichheit sey, so müsse es in dieser so gut, wie in jenem, angehen. 2) Hätte man ja verschiedene mechanische Instrumente, die durch den Wind getrieben werden; daher könne es auch mit den Menschen angehen. 3) Habe man ja die wirklichen Exempel vor sich, und es wären verschiedene Anweisungen dazu erschienen.
Der erste, der seine große Weisheit hierin hat sehen laßen, ist Herm. Fr. Flayder, Prof. zu Tübingen, welcher zu Anfange des 17ten Jahrhundertes gelebt, und Artem volandi geschrieben hat. Im J. 1640 kam in den Niederlanden ein kleiner Tractat heraus, darin der Verf. sich zu zeigen bemüht, es könne die Kunst zu fliegen von jedem Menschen ohne Schwierigkeit ausgeübet werden; er dürfe sich nur Flügel an die Arme binden, und dieselben immer mehr verlängern und vergrößern, bis er merkte, daß sie ihn trügen. Diesen beyden Männern setze ich den Jo. Bapt. v. Helmont an die Seite, welcher, außer seinen andern seltsamen Meinungen, auch die Kunst zu fliegen vertheidigt hat. Auch der berühmte Theolog, D. Jo. Dan. Major, gesteht in einem gewissen Buche: Seefahrt nach der neuen Welt etc. es könne dieses Kunststück leicht zur Wirklichkeit gebracht werden. Endlich hat auch Sam. Reyher, Prof. der Mathematik zu Kiel, in seinem Tractat de aëre, Cap. 21. behauptet, es müsse ein Mensch fliegen können. Denn, ob er gleich eine schwache Brust, und keine so starke Muskeln hätte, die Flügel zu regieren, so könne doch dieser Mangel aus der Mechanik ersetzt werden, wenn nähmlich der rechte Flügel mit der linken, und der linke Flügel mit der rechten Hand dirigirt würde; man müsse auch die Flügel nicht von Federn, wie bey den Vögeln, sondern von zarter Haut, die sich leicht zusammen faltet, wie bey den Fledermäusen, machen, und auf solche Weise das Gewicht der Materie vermeiden, welches unumgänglich erfordert würde, diese Federn zusammen zu befestigen.
Das sind also Schriftsteller, die ihre Gedanken von dieser Kunst in Büchern an den Tag gelegt, aber niemahls selbst geflogen haben. Sollten sich denn nicht auch solche Wagehälse gefunden haben, die diese gefährliche und halsbrechende Arbeit jemahls ausgeübt haben? Man kann leicht erachten, daß ihre Anzahl nicht gar zu groß seyn wird, weil wenig dabey zu verdienen, und gar viel zu verlieren ist. Ich finde in des Jani Nicii Erythraei Pinacotheca, Th. 1, S. 123, Nachricht von einem Paulo Guidotto Borghesio, daß derselbe sich gerühmt <14, 259> habe, er könne 14 Künste, davon eine jede insbesondere ihn ernähren könne. Unter diesen war auch die Kunst zu fliegen, die er einen Menschen lehren wollte. Es setzt aber gedachter Erythraeus dazu: „ Der beständige Hunger, der ihn geplagt, und die große Armuth, worin er gelebt, wären eine Anzeige gewesen, daß er alle diese Künste nicht recht müsse verstanden haben. ”
Ein gewisser Spanier, Alvarus Gutierres de Torres von Toledo, erzählt eine Geschichte von einem Mönche, welcher hat fliegen wollen. Er befestigte an seine Hände und Arme Federn, und meinte dadurch, diese Kunst gewiß erfunden zu haben. Hiermit begab er sich auf einen Thurm, fassete den Wind, und flog hernieder; er hatte aber kaum etwa 125 Schritte diese gefährliche Reise versuchet, so wurde er entweder von der Gewalt des Windes, oder von der Furcht wegen seines kühnen Unternehmens ergriffen, und fiel so hart auf die Erde, daß er beyde Beine zerbrach, und hernach ein elendes Leben führen mußte. Er schrieb aber seinen Fall keiner andern Ursache zu, als weil er sich an den hintern Theil seines Leibes nicht auch einen Schwanz angemacht hätte, wie die Vögel, welcher ihn wohl würde erhalten haben.
Burggrav erzählt in seiner Panoplia physico-vulcania, daß zu Nürnberg ein gewisser Vorsänger gewesen sey, welcher mit Hülfe 2 großer Flügel sich in die Luft gehoben, und wie ein Vogel in die Höhe und wieder herab geflogen sey; er sey aber einst aus Unvorsichtigkeit auf die Erde gefallen, und habe Arm und Beine gebrochen.
Der bekannte D. Becher, in seiner närrischen Weisheit und weisen Narrheit, erzählt, daß er zu Wien einen Schuster, und in Holland und Frankreich noch einige andere habe fliegen gesehen; er macht aber verschiedene Anmerkungen dabey, woraus man siehet, daß er diese Kunst für so gewiß noch nicht gehalten habe.
Das Journal d. Scav. v. J. 1678, S. 460, f. preiset die Kunst des Benier, eines Schusters in dem Städtchen Sable, in der Landschaft Maine, auf guten Glauben an, und versichert, daß er bey seinem unnatürlichen Fliegen in einigen Versuchen glücklich gewesen. Aus dem Stillschweigen der folgenden Jahre aber kann man muthmaßen, daß entweder der Erfinder, oder seine Erfindung, gar bald ausgestorben sey.
Ein gewisser Italiäner, Barottini, erregte vor vielen Jahren eine unnöthige Aufmerksamkeit. Man erwartete mit unge<14, 260>duldigem Verlangen die Erfüllung seines Versprechens, daß er in 12 Stunden von Warschau nach Constantinopel fliegen wollte; allein, Barottini hat sehr wohl gethan, daß er sein Versprechen nicht erfüllet hat.
In Wahrheit! es ist sehr seltsam, wenn man der Unmöglichkeit Trotz biethen will. Wenn man vermögend wäre, zwo Kugeln zu verfertigen, deren jede zwar 70 Pfund Last fassen könnte, dabey aber nebst ihrem Hahn nur 8 Loth schwer wäre, und man könnte dieselben luftleer machen, ohne daß sie alsdenn von der äußern Luft zerdrückt würden: so würde man solche an sich hängen, und sich damit unfehlbar in die Höhe schwingen können. Allein, würde man auch Athem hohlen? würde man das Centrum der Schwere halten können? wie lange würden die Nerven diese Richtung der Bewegung durch die Luft aushalten? würden nicht in der dünnen Luft die vesiculae pneumonicae in der Lunge am wenigsten ausgedehnet, mithin das Athemhohlen beschwerlicher gemachet werden? Alle diese Umstände drohen der Kunst zu fliegen einen schlechten Fortgang.
JO. LUD. HANNEMANN diss. qua hominem ad volandum esse ineptum ostenditur. Kil. 1709, 4.
Jo. Ge. Keyßlers Reisen, 1 B. Hannov. 1776, 4. S. 184, f. in der Anm.
Ars volandi frustra tentata, oder, die Thorheit der Menschen, wie Vögel durch die Luft zu fliegen, s. den 3 Vers. der merkwürd. Beytr. zu dem Weltlauf der Gelehrten, Langenf. 1766, 8. S. 453--566.