Publikation

Archiv-Nr.:
u239/020/261
Urheber:
Lilienthal, Gustav
Objekt:
Vortrag
Titel:
Die Baugenossenschaft "Freie Scholle"
Datum:
1896/05/17
Quelle:
Ankündigung und Bericht in der Zeitschrift "Ethische Kultur" S. 120, S.231
Status:
Hinweis
Beschreibung:

Vortrag in der "Sozialen Gruppe" der "Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur" "im Leesesale der Gesellschaft, Ziegelstraße 10/11, 81/4 Uhr abends":

"Die Beseitigung der Wohnungsnot oder vielmehr des Mieterelendes in der Großstadt kam anläßlich eines Vortrages des Ingenieurs G. Lilienthal in der sozialen Gruppe zur Besprechung. Der Redner berichtete über die bisherige Thäthigkeit der Baugenossenschaft "Freie Scholle". Das Ideal derselben ist nach englischem Vorbilde das durch die Selbsthilfe der Arbeiter erworbene Einfamilienhaus mit Garten von mindestens 30 Quadratruthen. Das Kapital wird aufgebracht durch die Ausgabe von Geschäftsanteilen zu 50 Mark, die durch wöchentliche Zahlung von 50 Pfennig gesammelt werden und die Anwartschaft auf ein Häuschen im Werte von 2500 Mark inkl. Land verleihen, ferner durch monatliche Beiträge von 6 Prozent der Bausumme (150 Mark jährlich) zur Amortisation der Bauschuld. Die Häuser gehen zwar nicht in den Privatbesitz der Genossen über, aber das Recht der Benutzung ist unkündbar und geht bei Todesfällen auf die Erben über. Anstatt der einen Stube fünf Treppen hoch im Hinterhaus, die der Arbeiter jetzt für 150 Mark mietweise haben kann, erhält er ein Häuschen mit Stube und Kammer, Küche und Schuppen im eigenen Garten. Das ist natürlich nur möglich durch billigen Erwerb von Grund und Boden in der Nähe Berlins (die Genossenschaft hat denselben zunnächst in Alt-Glienicke, Station Adlershof der Görlitzer Bahn erworben) und durch Ausschaltung des Unternehmergewinnes. Da die Genossen meist Bauhandwerker sind, so bauen sie unter technischer Oberleitung ihre Häuser selbst und schaffen so beleihungsfähige Objekte, worauf jedes solide Bankhaus Vorschüsse zur weiteren Vergrößerung und Ausbreitung gewährt. Dadurch wird für die Genossen dauernde Arbeitsgelegenheit geschaffen und zwar nicht nur auf bautechnischem Gebiete, sondern für alle Gewerke, die den Bedürfnissen des täglichen Lebens dienen. Gleichzeitig mit der Herstellung der Wohnstätten werden 8 Morgen für gemeinnützige Zwecke der Kolonie reserviert, nämlich für ein Kinderheim, ein Lokal zur Unterhaltung und Belehrung durch Zeitungen, Vortäge, Bibliothek, ein Verkaufslokal für den Konsumverein, der seine Kellereien den Genossen zur Verfügung stellt und Werkstätten für zeitweilig Arbeislose. Bei einem Ausscheiden aus der Genossenschaft erhält der Ausscheidende seine Anteile mit Zinsen zurück. Der Redner erläuterte seinen Vortrag in dankenswerter Weise durch Aufzeigen der Baupläne. Grundrisse ud Ansichten der geplanten Heimstätten und schloß mit einem Appell an die Besitzenden, die her, ohne selbst auf den Erwerb einen Wohnung zu reflektieren, durch Erwerbung von Geschäftsanteilen ein gemeinnütziges Werk ohne Risiko fördern können."

Digitalisat siehe id 17846